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Zahlen zur deutschen Spitzensportförderung: Fakten vs gefühlte Wahrheiten, Lügen und Propaganda

Sportpolitiker, Journalisten und Athleten argumentieren mit falschen Zahlen zu Sportfördermitteln. Nur 331 Millionen Euro (Haushaltsentwurf für 2025)? Tatsächlich ist die Leistungssportförderung doppelt so hoch - und die Medaillen-Effizienz gewaltig schlechter als beispielsweise in Großbritannien.

Zahlen zur deutschen Spitzensportförderung: Fakten vs gefühlte Wahrheiten, Lügen und Propaganda
Sonntagabend: Sportpolitische Expertenrunde im ZDF. (Screenshot)

NEUILLY-SUR-SEINE. Muss gleich zum Flughafen, es wird voll, kommen wir also flink zur Sache. (Deshalb bestimmt noch mehr Flüchtigkeitsfehler als gewöhnlich, excuse moi!)

Hatte gestern eigentlich vor, noch etwas besinnlich Nettes, etwas ungewöhnlich privat Schwärmendes und irgendwie etwas Versöhnliches zu Paris und diesen Spielen zu schreiben. Auf dem letzten Spaziergang (10.000 Schritte täglich müssen sein) zum Arc de Triomphe hatte ich mir alles zurecht gelegt, alles bestens, ein wunderbarer Nachmittag in einer fantastischen Umgebung. Zurück am Schreibtisch lief ZDF mit einer ärgerlichen Runde, in der nur der Paris-Korrespondent Thomas Walde eine angemessen informiert-kritisch-nonchalante Rolle spielte. Ehrlich gesagt, das hat mir ein bisschen die Laune verdorben. Dazu kamen mehrere Einspieler, die eine Schwurbel-Richtung vorgaben.

Warum schon wieder? Warum müssen die im Fernsehen immer wieder so haarsträubenden Unsinn verbreiten: Mehr Geld, mehr Geld, verdammt viel mehr Geld muss her, die Olympiabewerbung hilft sowieso, dann wird das schon mit den Medaillen.

Wie oft hat man diesen Schwachsinn in den vergangenen Wochen gehört?

Die kindlich-falschen Argumentationen zur Sportförderung und zur Olympiabewerbung ähneln sich - und wenn beides zusammen kommt, wird es noch schlimmer. Nichts gegen Olympiasiegerin Kristina Vogel (als ZDF-Expertin vor Ort), ich kenne ihr Schicksal, aber berechtigt das dazu, Millionen von Menschen vor laufender Kamera zu erzählen, die Sportförderung der britischen Radsportler sei im Grunde so hoch wie die gesamte deutsche Sportförderung?

Da wurde selbstverständlich nicht widersprochen, in diesem Fall hätte Jochen Breyer etwas einwenden müssen. Nochmal, mir geht es hier nicht um diese Personen, sondern grundsätzlich um ärgerliche gefühlte Wahrheiten, die sich - Sie wissen das alle - gern verselbstständigen. Und genau das passiert gerade.

Die Macht der Bilder, das habe ich tausendmal beschrieben, und die Emotionen, die das IOC-Hauptprodukt Olympia produziert und ausgelöst hat, vernebelt die Sinne so sehr, dass man eigentlich den Notarzt rufen müsste.

So werden aus weitgehend faktenfreien gefühlten Wahrheiten schnell Falschbehauptungen, Lügen und die Verbreitung lupenreiner Sport-Propaganda.

Das ist es, was wir gerade erleben.


Um den Quatsch zum britischen Radsportverband kurz mit Fakten zu begegnen, bevor ich zu noch mehr Zahlen und zu einer etwas größeren Skizze komme.

  1. Gemäß der zuständigen behördenähnlichen Institution UK Sport erhält British Cycling von 2021 bis 2025 exakt 29.314.683 Pfund Förderung. Das sind nach aktuellem Umrechnungskurs rund 34 Millionen Euro.
  2. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) erhält im selben Zeitraum mindestens 29 Millionen Euro aus der Verbandsförderung des BMI. Da es im föderalen System der Bundesrepublik zahlreiche andere Töpfe gibt, aus denen man hier etwas dazu addieren müsste (das System ist aber, anders als das von UK Sport, auf Intransparenz und die Vermeidung einer klaren Übersicht aller Zahlungen, Alimente und Subventionen angelegt), sollten da deutlich mehr als 30 Millionen zusammenkommen.
  3. Grob gesagt: Radsport in UK erhält von 2021-2025 aus dem staatlichen System (hier vor allem über die Lotterie finanziert, aber es ist ein staatliches System) wenn überhaupt mehr als der deutsche Radsport, dann vielleicht 10 bis 15 Prozent. Nochmal: Wenn überhaupt.
  4. Radsport in UK erhielt nie und wird nie soviel Geld aus dem staatlichen System erhalten wie die gesamte deutsche Sportförderung - weder in der Steinzeit, noch im Jetzt, noch im sechsten Jahrtausend nach Christi Geburt. Korrekt ist, wenn man das schon mal gegenrechnen mag: es sind etwa 1 Prozent der deutschen Leistungssportförderung in diesem Zeitraum. Und das ist völlig im Rahmen, eher unterdurchschnittlich, wie wir später an anderen Beispielen sehen werden.

Können Sie einen Unterschied zwischen Schwurbeln und Fakten erkennen?


Podcast #1 zur intransparenten, ineffizienten Sportförderung, Beutegemeinschaften, mangelnder Professionalität, Medaillen-Prämien, Lord Coe und zum knausrigen IOC
Voilà, olympische Bildung: SPORT & POLITICS Podcast #1 zur Spitzensportförderung in Deutschland mit absoluten Experten: 153 Minuten mit Bernd Berkhahn, erfolgreichster deutscher Olympiatrainer des Jahrzehnts, sowie den Professoren Wolfgang Maennig (Olympiasieger) und Lutz Thieme. Viel Vergnügen!

Kleiner Einschub zu den Zahlen und Daten, die ich hier verwende:

  • UK Sport bietet Übersichten von 2021-2025 für jeden Verband, jede Sportart, jede Disziplin-Gruppe. Die sind da aktueller und transparenter als die Deutschen, ein altes ärgerliches Thema.
  • Das BMI bietet aktuell nur die Zahlen bis 2023 an.
  • Ich habe, um einen Vergleichbarkeit zu gewährleisten, folgendes gemacht: Alle UK-Zahlen zum aktuellen Kurs in Euro umgerechnet, grundsätzlich alle Summen gerundet und auf Kommastellen verzichtet, um es Ihnen und mir heute leichter zu machen (detaillierter werde ich das in den nächsten Tagen und Wochen aufarbeiten, dann auch in Tabellen und Grafiken, das war diesmal nicht möglich), und ich habe bei den deutschen Verbänden angenommen, dass die Förderung für 2024 und 2025 in gleicher Höhe gezahlt wird wie für 2023.
  • Letzteres bedeutet: Wir wissen, dass die Förderung im Olympiajahr höher ist, wir wissen, dass die Förderung für 2025 weiter gestiegen ist - alle Zahlen zu den deutschen Verbänden sind tatsächlich also deutlich höher als in den folgenden Vergleichen. Anders formuliert: Die Bilanz der Deutschen gegenüber den Briten ist tatsächlich noch schlechter, als ich Ihnen gleich skizziere. Die endgültigen Zahlen haben wir, das ist real existierende deutsche Sportpolitik und Transparenz-Allergie, erst in ein oder zwei Jahren.

Den Vergleich zu den Briten macht ja nicht nur Olympiasiegerin Vogel. Dieser Vergleich gehört zur DNA deutscher Sportpolitik. Wobei Funktionäre und Bundespolitiker nicht wissen, oder wissentlich ignorieren, dass die märchenhaften Aufwüchse in Großbritannien vor den Olympischen Spielen 2012 (seither blieb es etwa auf dem Niveau) zwar zu mehr Medaillen geführt haben, alle anderen Versprechen aber nicht gehalten wurden: kein besserer Schulsport, keine signifikant höhere Anzahl von Menschen im Vereinssport, Volksgesundheit and all that jazz. Lesen Sie die entsprechenden Analysen, darüber wurde schon viel berichtet. Nur in Deutschland negiert man das und will den Briten sowie jetzt, noch viel schlimmer, den Franzosen und deren von Korruption, Omertà und flächendeckenden Skandalen geprägten Sportsystem nacheifern, das halt mehr Medaillen produziert. Auch dazu gibt es einen erschreckenden Bericht der Enquete-Kommission des Parlaments, in dem eine Reihe von Forderungen gestellt werden, deren Umsetzung Macron und seine Sportministerin selbstherrlich vertagt haben, um Olympia nicht mit so ärgerlichem Kram zu belasten.

Also, einige Beispiele. Fakten.

Förderung der sieben erfolgreichsten Verbände in Paris

Ich habe das über Nacht alles rausgesucht, Sie wissen, wie das mit Statistiken ist. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass sich hier und da ein Zahlendreher eingeschlichen hat. Grundsätzlich aber ist die Richtung klar - und die Fakten korrespondieren Nullkommanichts mit dem, was täglich in Deutschland behauptet wird.

Die sieben erfolgreichsten Medaillensportarten der Briten in Paris habe ich mit den deutschen Verbänden verglichen (DOSB-Analysepapier von gestern). Ich musste (siehe oben) die Fördersummen 2021-2025 in die Rechnung einbeziehen.

Was fällt auf?

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